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Golo MannGolo Mann Georg Büchner Und Die Revolution Rede, Gehalten Anläßlich Der Verleihung Des Büchner-Preises 1968 In Darmstadt

Label:S. Fischer Verlag GmbH – TST 76 784
Format:
Vinyl, LP, Stereo
Country:Germany
Released:
Genre:Non-Music
Style:Field Recording, Spoken Word

Tracklist

AI. Teil24:00
BII. Teil22:55
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Notes

Golo Mann Georg Büchner und die Revolution Rede, gehalten anläßlich der Verleihung des Büchner-Preises 1968 in Darmstadt Am 26. Oktober 1968 erhielt der Historiker und Schrift- steller Golo Mann in Darmstadt den Georg-Büchner- Preis. Seine Rede über Büchner hatte aktuelle Bezüge; sie war aus dem Geist des Rebellen Georg Büchner. Eini- ge Ausschnitte aus der auf der Platte vollständig wieder- gegebenen Rede sind hier zu lesen: Büchner war ein Dichtergenie, ich bin nichts weniger als das. Er war ein Kämpfer, ich bin das nicht. Er starb jung, sein Leben war ein kurzer Feuerbrand; ich bin alt. Ich habe viel Theorie gelesen, alte und neue, welches ein indirekter Weg zu den Sachen ist, und oft ein unge- schickter; Büchners Adlerblick richtete sich auf die Sachen selber, direkt und ungelehrt. Er war ein Rebell, setzte das französische »Friede den Hütten! Krieg den Pa- lästen!<< als Motto über sein Pamphlet; ich kann ehrlich nicht sagen, daß ich die wenigen Paläste alten Stils, die uns einstweilen noch übriggeblieben sind, hasse oder sie als schadenstiftend ansehe. Das mag freilich an den ver- änderten Zeiten liegen. Büchner meinte die Macht, wenn er »>Paläste<< sagte, und in unseren alten Schlössern wohnt keine Macht mehr. Jedenfalls ist die Sympathie für die schönen Überreste vergangener Lebensstile keine revolutionäre. Büchner, sagt man uns, war ein Revolu- tionär. War er das wirklich? Mit dem ersten Blick, mit dem Blick auf den Hessischen Landboten, auf ein paar Briefe und überlieferte Gesprächsfetzen, ja. Mit dem zweiten, längeren, nein. Büchner war zu reich in seiner Seele, zu sensitiv, zu spöttisch, zu wissend, zu pessi- mistisch, zu neurotisch, auch zu lebensfreudig, natur-, berg- und waldfreudig, zu sehr dem Metaphysischen ge- neigt, als daß er zum Berufsrevolutionär auf die Dauer getaugt hätte. Ein Revolutionär resigniert nicht so schnell, wie er es tat. Ein Revolutionär von Beruf gibt auch in der Verbannung nicht auf, webt an einen Plänen und Verschwörungen ungebrochen, jahrzehntelang. Nicht so Büchner. Was er blieb, was er wohl auch geblieben wäre, hätte er lang gelebt, war nur dies: ein Rebell. Damit meine ich einen, der keine Achtung vor der Autorität hat, keine vor den Traditionen, keine vor den Anführern der Weltläufte, den » Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte «<, wie er sie nennt. Da wäre nun wieder ein Unterschied zwischen Büchner und dem Redner von heute nachmittag. Denn im Gegensatz zu Büchner glau- be ich, daß die Paradegäule der Geschichte, zum Guten und Bösen, sehr wohl etwas tun können. Einige von ihnen sind mir lieb, andere nicht, weil in dem Composi- tum von Nutzen und Schaden, welches die Leistung aller dieser Ecksteher der Geschichte charakterisiert, bei ihnen der Schade, das Schlechte und Menschenfeind- liche den Nutzen offenbar überwog. Und nicht zuletzt mag ich die, die durch den Charakter ihrer Sprache, also ihren Charakter schlechthin, den Ereignissen einen Stil gaben. Für Büchner war der Stil der Politik und der Politiker höchst gleichgültig. Er begann im Zorn, im Ekel vor den sozialen Zuständen seiner Heimat. Das war schon in ihm, ehe er 18jährig nach Straßburg ging, wuchs dort im weiten Raum, in der freieren Luft Frankreichs; kam zum Durchbruch und zur versuchten Tat, als er nach Hessen zurückkehrte. Die Erkenntnis, die er nun entwickelte, und zwar völlig aus sich selbst heraus, ohne theoretisches Rüstzeug, hat er bis zuletzt festgehalten. Idee, Gedanke, Literatur können die Gesellschaft nicht verändern, selbst dann nicht, wenn die Schriftsteller zu Terroristen würden. Ge- walt ist gut, ist recht und notwendig gegenüber einem Herrschaftssystem, das selber auf Gewalt beruht. Aber die Massen, nicht die Schriftsteller, müssen sie wollen und müssen die Veränderung wollen, weil der Hunger sie dazu zwingt. Es gibt kein anderes Motiv, stark genug, einen Umsturz der bestehenden Ordnung zu verwirk- lichen. Diese ihm eigenste These hat er jahrelang wie- derholt. 1833: »Ich werde zwar immer meinen Grund- sätzen gemäß handeln, habe aber in neuerer Zeit ge- lernt, daß nur das notwendige Bedürfnis der großen Masse Umänderungen herbeiführen kann, daß alles Bewegen und Schreien des einzelnen vergebliches Toren- werk ist. Sie schreiben - man liest sie nicht; sie schreien man hört sie nicht...« Zwei oder drei Jahre später: >> Das Verhältnis zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt; der Hunger allein kann die Freiheitsgöttin, und nur ein Moses, der uns die sieben ägyptischen Plagen auf den Hals schickte, konnte ein Messias werden. Mästen sie die Bauern und die Revolution bekommt die Apoplexie. Ein Huhn im Topf jedes Bauern macht den gallischen Hahn veren- den. Fragmentarisch oder nur annäherungsweise rich- tig, wie alle Erkenntnisse, welche sich auf die mensch- liche Situation beziehen, war diese doch neu, zumal in Deutschland, durchbrechend und bahnbrechend. In sei- nem kommunistischen Manifest hat Büchner sie in die Praxis umzusetzen versucht. Der Hessische Landbote ist in der Geschichte der poli- tischen Schriftstellerei Deutschlands zu einer Art von Legende geworden. Mit gutem Grund. Dies aufwie- gelnde Zerpflücken des hessischen Sechs-Millionen-Bud- gets, dies den Bauern Zeigen, wohin ihre Steuern gin- gen, wer sie verpraßte oder brauchte, um die Zahlenden. desto sicherer unterdrücken zu können, es war ein genia- les Stück Demagogie, vollbracht von einem, der nicht etwa herabstieg, um bei seinen schlichteren Lesern sich anzubiedern, sondern beim Schreiben seine ganze lite- rarische Urkraft aufbot. Ich würde mir erlauben, hinzu- zufügen, daß sechs Millionen vergleichsweise keine sehr hohe Summe für die Verwaltung des Ländchens war, obgleich sie zweifellos besser hätte verwendet werden. können als etwa für eine Armee von 6000 Mann mit 25 Generalen. Jedoch schreibt der deutsche Historiker jener Jahre, Veit Valentin, dessen Herz entschieden links schlug, über die Verwaltung des Großherzogtums im ganzen: »Der rheinische Kleinstaat setzte sich durch mittels einer nüchternen, anständig temperierten, am französischen politischen Rationalismus wohl geschulten Staatsregierung ... So hatte der preußische Gesandte recht, wenn er das Großherzogtum eines der bestverwal- teten Länder Deutschlands nannte.<< Merkwürdiger- weise hat Büchner im Gespräch ähnliches gesagt. Er hat auch, während er noch alle Fürsten verjagt und ein eini- ges Reich gegründet sehen wollte, plötzlich Zweifel dar- über geäußert, ob ein solches Ein-Reich eigentlich die Menschen glücklicher machen würde. Das heißt, er schwankte, selbst in dieser kurzen, fiebrigen Hoch-Zeit seines politischen Treibens. Er dachte, sah, wußte zu vielerlei. Als die Bauern auf sein Manifest nicht so rea- gierten, wie er gehofft hatte, verlor er das Interesse an der Sache.

S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1970
Urheber- und Leistungsschutzrechte, besonders Vervielfältigung und
Sendung, auch in Ausschnitten, vorbehalten
Aufnahme des Hessischen Rundfunks vom 26. Oktober 1968
Seit A 24:00; Seite B 22:55
Die vollständige Rede wurde publiziert in der »Neuen Rundschauk
(Heft 1/1969)
Foto: Pit Ludwig, Darmstadt
Printed in Germany 1970

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